Der Klausner
Auf meinem stillen Rasen
Mir Launen einzublasen;
Den Meister will ich sehn!
Zwar giebt es große Blasemeister;
Doch selbst der Sultan böser Geister
Würd’ hier umsonst die Backen blähn.
Am Rasen steht die Klause;
Da bin ich gern zu Hause
Mit meiner Klausnerin.
Wann wir Gemüs’ und Blumen warten;
Dann sehn wir aus dem kleinen Garten
Nicht leicht in Nachbargärten hin.
Geheim im Tannenschreine
Des Klausners steht die kleine,
Gar kleine Bücherei.
Beschaut sie nicht! Der alten Lieben
Ist gar zu wenig nachgeblieben;
Und Neues ist gewöhnlich neu.
Da siz’ ich mitten drunter,
So wohlgemut und munter,
Als wär’ es Griechenland.
Oft ward ich wild vom Ton der Alten,
Daß seltsam mir die Saiten hallten;
Doch fragt’ ich nimmer, wers verstand.
Macht etwa mich verstummen
Der Brummflieg’ arges Brummen,
Das keinen wohl ergezt;
Sehr ungern lang’ ich nach der Klappe:
Wenn ich am Fenster sie ertappe,
So wird sie sanft hinausgesezt.
Erstfassung nach dem Abdruck in: Der Genius der Zeit. Viertes
Stück. April 1795, S. 388f. - In den Handschriften ist das Gedicht
datiert „7. Dezember [1794]“ - Ab der Ausgabe der Sämtlichen
Gedichte von Johann Heinrich Voß. Königsberg 1802, Bd. 5, S. 95-
98, ist nach der 4. Strophe folgende Zusatzstrophe eingeschoben:
Die Bien’ hat ihren Stachel,
Die Ähre spizt die Achel,
Die Rose hebt den Dorn.
Allein nur Abwehr ward beschieden;
Was guter Art ist, liebt den Frieden,
und hasset Übermut und Zorn.
Nur wenig Abendfreunde
Sind meine Klausgemeinde,
Gar treu und glaubenfest!
Der Glaube heißt: der Wahrheit Höhen
Mit Aug’ und Herz emporzuspähen,
So weit die Höh’ uns spähen läßt.
Nie eifern wir, noch zanken;
Wir tauschen nur Gedanken,
Und tauschen all’ uns reich.
Hat einer auch besondre Kreise;
Wir ehren sie. Zum Ziel der Reise
Führt mancher Weg, gekrümmt und gleich.
Wie heut, so gings vor Jahren,
Als neu die Alten waren;
Wie heut, wirds immer gehn.
Die Großen wissen alles besser;
Doch auch die Kleinen werden größer,
Und lernen allgemach verstehn.